Tanzplan Deutschland
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Tanzplan Deutschland63


Eine Strategie für den Tanz

Die Projektidee

2005 entschied die Kulturstiftung des Bundes, 12,5 Millionen Euro in den Tanz zu investieren. Sie gab damit den Startschuss zu einer in ganz Europa einzigartigen Großinitiative für den Tanz. Auf fünf Jahre angelegt, wirkte das Projekt bis 2010 als Katalysator für die deutsche Tanzszene und als wegweisendes Modell für eine nachhaltige Kulturpraxis. Das Ziel war die umfassende und systematische Stärkung der Kunstsparte Tanz.
In einer Zeit, in der auf städtischer und kommunaler Ebene aufgrund klammer Haushalte zahlreiche Tanzkompanien abgewickelt wurden, lief Tanzplan Deutschland gegen den Trend an und sorgte für einiges Erstaunen – auch durch sein offenes Konzept, das nicht den üblichen Kulturförderprogrammen entsprach. Die ursprüngliche Idee war, ein großes, nationales Festival ins Leben zu rufen, das mit seiner Strahlkraft den Tanz ins öffentliche Bewusstsein heben sollte. Der Gegenentwurf der späteren Projektleiterin Madeline Ritter sah jedoch kein Großevent, sondern einen Strukturentwicklungsplan vor und setzte nicht bei Null, sondern bei der bestehenden Tanzszene an. Damit entschied sich die Kulturstiftung dafür, vor allem lokale und regionale Szenen fünf Jahre lang zu unterstützen und das in so unterschiedlichen Bereichen wie Künstler- und Nachwuchsförderung, Tanzausbildung, kulturelle Bildung und Kulturerbe Tanz.
Das auf Nachhaltigkeit setzende Gesamtkonzept lebte von der Einbeziehung der Tanzschaffenden und der lokalen Politik gleichermaßen. Bedingung war, dass die jeweiligen Städte oder Länder die Hälfte der benötigten Summe beitragen, zusätzlich zur laufenden Tanzförderung und verbindlich für fünf Jahre. Von den Akteuren der Tanzszene wurde Entsprechendes auf inhaltlicher Ebene verlangt: modellhafte Zukunftspläne, die über das bislang Erreichte hinausweisen und die Tanzentwicklung in Deutschland vorantreiben. Das Tanzplan-Kuratorium wählte von den aus ganz Deutschland eingereichten Konzepten neun Tanzpläne vor Ort aus: Berlin, Bremen, Dresden, Düsseldorf, Essen, Frankfurt am Main, Hamburg, München, Potsdam.
Um auch die nächste Generation von Tänzern, Choreografen und Wissenschaftlern einzubinden, setzte Tanzplan Deutschland mit seinen Ausbildungsprojekten einen weiteren Förderschwerpunk.
Als Projektträger wurde der gemeinnützige Verein Tanzplan Deutschland gegründet, der mit einem fünfköpfigen Team den Plan in die Tat umsetzte, an seiner Seite ein Kuratorium aus renommierten Tanzexperten.

Die Erfolgsbilanz
426 maßgebliche Institutionen und Partner haben zusammengearbeitet, um die Tanzsparte zu stärken, sie besser zu vernetzen und ihre Wirkung zu vergrößern. Mit Hilfe des Match-Funding-Prinzips wurden von 2005 bis 2010 insgesamt 21 Millionen Euro für den Tanz mobilisiert: Zusätzlich zu den 12,5 Millionen Euro der Kulturstiftung des Bundes stellten Städte und Länder weitere 8,4 Millionen Euro für den Tanz zur Verfügung. Mehr als 80 % der Initiativen – vor Ort und auf Bundesebene – setzen ihre Arbeit fort. International wurde Tanzplan Deutschland zum viel zitierten Modellprojekt, in vielen Ländern – von Island über Spanien bis Australien – gibt es mittlerweile nationale Tanzpläne.

Strukturverbesserungen auf allen Ebenen

Vielseitige Künstler- und Nachwuchsförderung

Als Anfang 2006 das Tanzplan-Kuratorium sich für die neun Tanzpläne-vor-Ort entschied, hörte man aus der Tanzszene wiederholt die Kritik, dass das ganze Geld nur in die Strukturen gehe. Diese Entscheidung ist sehr bewusst gefällt worden, denn die nötigen Veränderungsprozesse und die Mobilisierung einer ganzen Szene wären mit der Förderung von einzelnen künstlerischen Projekten nicht möglich gewesen. Aber die Auswertung der Tanzplan-Zahlen zeigt, dass das Geld am Ende doch direkt in der Kunst gelandet ist: Insgesamt wurden im Rahmen der fünf Tanzplan-Jahre 1.277 Tanzaufführungen in Deutschland produziert und präsentiert, 819 in freien Produktionsstätten und 438 in Staats- und Stadttheatern; 389 Choreografen aus über 50 Nationen haben mitgewirkt; 180 Arbeitsstipendien und Residenzen wurden ausgeschrieben, an denen 613 Künstler teilnahmen.
In Dresden, Hamburg, Frankfurt zogen Workshopprogramme, Profitraining und Masterclasses Tänzer und Choreografen an. Damit wurde den Abwanderungstendenzen in die Tanzhauptstadt Berlin entgegengewirkt. Zur regionalen Verankerung trugen zudem die mit Stipendien, Gratisnutzung von Studios, Mentorenbegleitung und mit Produktionsmitteln ausgestatteten Künstlerresidenzen in Hamburg, Potsdam, Frankfurt und Dresden bei. Tanzplan Bremen realisierte mit neun Ausgaben des reisenden Festivals „Norddeutsches Tanztreffen“ einen für die Tanzsparte in ganz Deutschland einmaligen Austausch von Choreografien städtischer und freier Kompanien – von Osnabrück bis Greifswald und von Braunschweig bis Kiel.
Ein weiteres, äußerst wirkungsvolles Instrument der Förderung von national herausragenden Choreografen war die Koproduktionsförderung des Nationalen Performance Netzes (NPN), die Tanzplan Deutschland fünf Jahre mit 900.000 Euro finanzierte. Sie ermöglichte 47 Uraufführungen, stimulierte die internationale Zusammenarbeit und vervielfachte über die Koproduktionsmittel der Städte und Länder die eingesetzten Bundesmittel. Der Zeitraum der NPN-Koproduktionsförderung wurde durch eine einmalige Verlängerung der Kulturstiftung des Bundes auf 2010 ausgedehnt.
Die schwierige und oft prekäre Situation von Tänzern am Ende ihrer beruflichen Laufbahn war Anfang 2010 darüber hinaus Anlass zur Gründung der Stiftung TANZ -Transition Zentrum Deutschland, deren Aufbau Tanzplan inhaltlich begleitet und mit 65.000 Euro unterstützt hat.

Kulturelle Bildung durch Tanz
Die Tanzpläne in Düsseldorf, Frankfurt, München und Bremen haben den Tanz in die Schulen und ihre Region getragen. Das Angebot reichte vom Schulfach Tanz bis zum Projektunterricht im Staatsballett. Die Gesamtzahl von rund 13.000 Unterrichtstunden und über 30.000 Teilnehmern sowie die Erkenntnisse der Begleitforschung belegen die große Wirksamkeit dieser umfassenden Tanzbildungsinitiative. 681 Tanzaufführungen fanden für und mit Kindern statt. Flankierend förderte der Tanzplan im Rahmen der Ausbildungsprojekte die Qualifizierung der Tanzpädagogenausbildung in Hamburg und Köln und legte damit weitere Bausteine für das gemeinsame Ziel, den Tanz als eigenständige künstlerische Ausdrucksform in die Bildung zu integrieren.

Neue Initiativen und Studiengänge in der Tanzausbildung
Die Ausbildung der Profis – Tänzer, Choreografen, Pädagogen, die heutzutage in Praxis und Theorie gleichermaßen fit sein müssen – hatte in den Berliner und Frankfurter Tanzplänen Priorität. Am neu gegründeten Hochschulübergreifenden Zentrum Tanz (HZT) in Berlin studieren junge Künstler aus aller Welt in den neuen BA- und MA-Studiengängen; in Frankfurt und Gießen sind neue Masterprogramme für Choreografie und Tanzpädagogik entstanden; die Dresdner Tanzplaninitiative schuf mit der partnerschaftlichen Zusammenarbeit der Palucca Hochschule für Tanz Dresden, dem Semperoper Ballett und Hellerau – Europäisches Zentrum der Künste neue Verknüpfungen zwischen Ausbildung und Produktion; „tanzplan essen 2010“ lud internationale Kunsthochschulen und Experten auf die Zeche Zollverein, um in Symposien und Werkwochen neue Lern- und Lehrmodelle im direkten künstlerischen Kontext zu erproben. Insgesamt gaben über 700 Dozenten und Referenten aus 50 Nationen 968 Weiterbildungen mit über 25.000 Teilnehmern.

Fünf Jahre Tanzplan Ausbildungsprojekte
Im Rahmen der Tanzplan Ausbildungsprojekte wurden alle elf staatlichen Tanz- und Fachhochschulen eingeladen, sich gemeinsam um die Qualifizierung und die internationale Profilierung der Tanzausbildung in Deutschland zu kümmern. Ein sichtbarer Erfolg dieser Zusammenarbeit ist neben der Gründung der
Ausbildungskonferenz Tanz die Etablierung der Biennale Tanzausbildung: Während dieser einwöchigen Nachwuchsplattformen kamen in Berlin (2008) und in Essen (2010) jeweils weit über 200 Professoren, Studierende, namhafte Künstler und Wissenschaftler zusammen, um in Workshops, Diskussionen und Vorstellungen miteinander zu arbeiten.
Zum Abschluss von Tanzplan erschien im Henschel Verlag das Buch Tanztechniken 2010 - Tanzplan Deutschland. Es ist das erste Standardwerk zu Tanztechniken im Zeitgenössischen Tanz und das Ergebnis eines 3-jährigen internationalen Forschungsvorhabens der Tanzplan Ausbildungsprojekte mit Ingo Diehl und Friederike Lampert als den Herausgebern. Deutschland konnte sich mit dieser Bildungsoffensive national und international deutlich in der Tanzausbildung profilieren.

Maßnahmen zur Stärkung des Kulturerbes
Auf Initiative und moderiert von Tanzplan Deutschland haben sich die fünf wichtigsten Tanzarchive zum „Verbund Deutsche Tanzarchive“ zusammengeschlossen. Mit dem Prototyp einer Online-Datenbank Digitaler Atlas Tanz brachten wir darüber hinaus die künftige bessere Nutzbarkeit des Kulturerbes Tanz mit auf den Weg.

Service und Öffentlichkeit für den Tanz
Als Serviceleistung für die Tanzszene hat Tanzplan wichtige Daten und Fakten zum Tanz gesammelt. Daraus ist eine umfangreiche Webseite entstanden, die bei der Suche nach Fördermöglichkeiten für professionelle Tanzprojekte und Ausbildungsadressen hilft (tanzfoerderung.de). Des Weiteren wurden die Internetportale dance-germany.org und tanznetz.de finanziell unterstützt und ein Programm zur Publikationsförderung aufgelegt, in dessen Rahmen 22 Titel über Tanz veröffentlicht wurden. 1.687 regionale und überregionale Presseberichte sorgten für eine deutlich erhöhte Präsenz des Tanzes in den Medien.

Über 80 % der initiierten Projekte werden fortgeführt

Nachhaltige Entwicklungen in den Tanzplan-Städten

Tanzplan Deutschland war eine Partnerschaft auf Zeit, die den Politikern vor Ort die Qualitäten ihrer Kulturakteure vor Augen führen sollte. Und eine Aufforderung, sie für die kulturelle Entwicklung ihrer Stadt einzuspannen. Das Kalkül ist aufgegangen: Die Anerkennung durch die Kulturstiftung des Bundes und die hervorragende Arbeit der Partner vor Ort haben zu einer deutlich größeren Wertschätzung der Tanzszene durch die Kulturpolitik geführt. Die lokalen und regionalen Förderer haben trotz Haushaltssperren und Finanzkrise ihre Finanzierungszusagen in voller Höhe eingehalten.
Die Künstlerische Direktorin der Kulturstiftung Hortensia Völckers und Madeline Ritter (Projektleiterin Tanzplan Deutschland) fuhren zur Halbzeit in die Städte, um mit den Politikern und den Tanzschaffenden die Chancen und Erwartungen für die weitere Zusammenarbeit vor Ort zu diskutieren. Denn der Entscheidung zur Zusammenarbeit mit starken, hoch motivierten Partnern lag von Anfang an die Hoffnung zu Grunde, dass mit dem absehbaren Ende der Tanzplanförderung die Arbeit aus eigener Kraft weitergehen würde. Die Konstellationen der Partner und Förderer vor Ort waren so vielfältig wie die Projektinhalte, und ebenso unterschiedlich waren die Strategien, um die Weiterarbeit sicherzustellen (lesen Sie hier im Einzelnen, wie es in jeder Stadt um die Nachhaltigkeit bestellt ist).

Insgesamt sieht die Bilanz äußerst positiv aus: Alle Tanzpläne vor Ort werden in ihrer Arbeit weiterfinanziert – zum Teil in geringerem, zum Teil in gleichem und in Berlin, München und Frankfurt sogar in wesentlich höherem Umfang. Die Mitwirkenden haben mit ihren Modellprojekten – national und international – große Wirksamkeit entfaltet und wesentlich dazu beigetragen, den Tanz in Deutschland als eigenständige Kunstsparte sichtbarer zu machen. Die überzeugende inhaltliche Qualität der Arbeit, die gute gesellschaftliche Verankerung der Projektinhalte und die errungenen Strukturverbesserungen waren die besten Grundlagen für die zukünftige Weiterentwicklung.

Staffelübergabe auf Bundesebene
Zu Beginn von Tanzplan Deutschland rechnete niemand mit der enormen Dynamik, die diese Initiative für die Entwicklung und das Selbstbewusstsein dieser Kunstsparte entfalten würde. Der Tanzplan hat eine Vorlage geliefert, um den Tanz auch in der Bundeskulturpolitik zum Thema zu machen: 2006/07 gründeten sich die „Ständige Konferenz Tanz“ (heute „Dachverband Tanz Deutschland“) und der „Bundesverband Tanz in Schulen“; 2007 nahm der Schlussbericht der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ zur Sondersituation Tanz Stellung; im November 2010 kam es im Kulturausschuss des Bundestags zur ersten Anhörung zum Thema Tanz und im Februar 2011 folgte eine „Kleine Anfrage“ an das Bundeskanzleramt über die „Zukunft des Tanzes in Deutschland“ – ein bis dato unvorstellbarer Vorgang in der Bundespolitik.
Damit sich diese Wertschätzung auch jenseits der Projektfördermöglichkeiten der Kulturstiftung des Bundes in einer substantiellen Bundesförderung niederschlägt, muss allerdings noch beharrliche Überzeugungsarbeit durch die Tanzschaffenden geleistet werden. Die von Tanzplan in Auftrag gegebene „Explorative Analyse der öffentlichen Tanzausgaben in Deutschland“ zeigt sehr deutlich, dass zwar seit Beginn des Tanzplans die Förderungen nicht nur in den Tanzplan-Städten gestiegen sind, aber immer noch erheblich unter denen anderer Kunstsparten liegen - bitte finden Sie die Datenerhebung hier zum Download. Bei den Kulturausgaben des Bundes macht der Tanz einen verschwindend geringen Anteil aus. Vor diesem Hintergrund hat es eine besondere Bedeutung, dass Tanzplan Deutschland bei einer Reihe wichtiger Initiativen die Staffelübergabe an Bundesinstitutionen und -förderer gelungen ist:
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung wird künftig die „Biennale Tanzausbildung“ mit 200.000 Euro pro Ausgabe fördern. Die 3. Biennale ist 2012 in Frankfurt, die 4. Biennale 2014 in Dresden geplant.
Der Beauftragte für Kultur und Medien gewährleistet die Anschlussförderung für die „Stiftung TANZ - Transition Zentrum Deutschland“, die durch Tanzplan bis März 2011 gesichert war. Die Chancen stehen gut, dass er auch bei dem wichtigen Instrument der NPN-Koproduktionsförderung in die Bezuschussung einsteigt.
Die Berliner Akademie der Künste übernimmt das von Tanzplan entwickelte Online-Portal für Tanzgeschichte und Dokumentation „Digitaler Atlas Tanz“ und wird die Zusammenarbeit mit dem Verbund Deutsche Tanzarchive fortsetzen.
Dem Dachverband Tanz Deutschland obliegt es, die gemeinsam mit Tanzplan Deutschland betriebene Gründungsinitiative für ein „Nationales Tanzbüros“ weiter voranzutreiben.

Tanzförderung der Kulturstiftung des Bundes
Die Kulturstiftung des Bundes setzt ihr großes Engagement für den Tanz fort. Der von ihr bereits zweimal ausgerichtete internationale Tanzkongress wird von 2013 an als kultureller Leuchtturm fest verankert. Der Tanzkongress soll künftig regelmäßig alle drei Jahre an wechselnden Orten in Deutschland stattfinden und erhält pro Ausgabe bis zu 800.000 Euro.
Zwei neue Fonds „Tanzerbe“ und „Tanzpartner“ (tanzfonds.de) zielen auf die künstlerische Vermittlung des kulturellen Erbes und auf die Etablierung von Partnerschaften zwischen Tanzinstitutionen, Kompanien und Schulen. Dafür stellt die Kulturstiftung des Bundes bis 2014 insgesamt 5 Millionen Euro zur Verfügung.

Resumee
Der Tanzplan ist zum internationalen Modellprojekt geworden; Städte und Länder haben den Tanz fünf Jahre lang verbindlich unterstützt und werden dies auch weiterhin tun; die Bundespolitik lässt sich für den Tanz in die Pflicht nehmen. Die mit dem Tanzplan getätigte Investition war erfolgreich. Viele tausend Mitwirkende werden ihre Erfahrungen weitertragen, vielstimmig und an unterschiedlichen Orten. Sie werden dafür sorgen, dass der Tanz als Kunstform weiterhin seinen Weg in die Gesellschaft findet. Der Plan ist Realität geworden.66

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